Wie wollen wir leben – Ihre ganz persönliche Utopie (FPh #6)

Orientierung im Leben

Nichts läuft richtig!?

„Die Regierung“ kriegt wieder gar nichts hin.

„Unser Gesundheitssystem ist am Ende.“

„Das Bildungssystem bereitet die jungen Menschen nicht auf die Gesellschaft von heute und schon gar nicht auf die Zukunft vor.“

Oft sind wir unzufrieden mit der Welt, in der wir leben. Im Großen wie im Kleinen.
Wir beschweren uns über die Regierung, „die“ Gesellschaft, „die“ Politik, den Chef, die Kollegen, den Partner oder die Partnerin, die Kinder – und über so vieles mehr.

Lassen Sie uns das Ganze doch einmal andersherum angehen!

In was für einer Welt möchten Sie leben?
Gesellschaftlich, beruflich, familiär …?

Wir wissen anscheinend ziemlich genau, was wir nicht wollen – jedenfalls, wenn wir es erleben.

In dieser Folge von „Frisch philosophiert“ geht es um persönliche Utopien – Idealvorstellungen von der Welt, in der Sie gerne leben würden. Und es geht darum, was wir, Sie und ich als einzelne tun können, um die Welt zu dem Ort zu machen, an dem wir gut – besser als jetzt – leben können.

Kurz gesagt: Wie sollte die für uns ideale Welt sein? Was können wir tun, um die Welt zu verbessern.

Nicht einfach jammern und beschweren, sondern eine klare Vision entwickeln, eine Idealvorstellung, die es wert ist, verwirklicht zu werden. Überlegen, was wir tun können, um sie umzusetzen. Und dann loslegen!

Bereit, die Welt zu verbessern?

Sind Sie bereit, für eine erste kurze Vision, wie Ihre ideale Welt aussehen sollte?

Bevor wir richtig loslegen, nehmen Sie sich doch einfach mal einen kurzen Moment Zeit und überlegen sich: „In was für einer Welt möchte ich leben?“

Halten Sie dazu doch einfach den Podcast kurz an! Wenn Sie wollen, nehmen Sie sich einen Zettel und einen Stift und halten Ihre Überlegungen in Stichpunkten oder in einer Mindmap fest.

Willkommen zurück! Wie lange haben Sie sich Zeit genommen? Wie klar ist Ihre Vorstellung von der Welt, in der Sie gerne leben möchten?

Über welche Bereiche Ihres persönlichen Lebens und unserer Gesellschaft haben Sie sich Gedanken gemacht? Warum sind Ihnen gerade diese Aspekte wichtig?

Utopien

Darüber, wie unser Leben als Einzelne und unser Zusammenleben in der Gesellschaft idealer Weise sein sollte, machen sich Menschen schon sehr lange Gedanken.

Schon Platon hat vor zweieinhalbtausend Jahren in seiner „Politeia“ Überlegungen zu einem idealen Staat angestellt. Und sein Entwurf eines idealen Staates blieb nicht der einzige. In der frühen Neuzeit erschienen gleich mehrere solcher Idealstaatsentwürfe: Thomas Morus„Utopia“ (1516), Tommaso Campanellas „Civitas solis“ (1602), Joseph Halls „Mundus alter et idem“ (1605), Francis Bacons „Nova Atlantis“ (1627). Von der fiktiven Insel „Utopia“, auf der Thomas Morus seinen idealen Staat verortet, haben die Utopien ihren Namen bekommen. Dabei bedeutet „Utopia“ zunächst wörtlich so viel wie „Nicht-Ort“ oder „Nirgend-Ort“ und verweist darauf, dass es den Ort, an dem solche perfekten, idealen Bedingungen herrschen, nicht gibt.

Kritik an Utopien

Deshalb wurden und werden Utopien auch oft als wirklichkeitsfremd und unrealistisch abgetan und der Begriff „Utopie“ abschätzig verwendet.

Aber warum sollte die Beschäftigung mit der Vorstellung eines idealen Zustandes, der nicht existiert, falsch sein? Dass dieser Idealzustand noch nicht existiert, heißt nicht, dass er nicht erstrebenswert wäre. Das heißt auch nicht, dass es nicht lohnenswert wäre, auf die Schaffung eines solchen Zustandes hinzuarbeiten, um ihm so nahe wie möglich zu kommen, selbst wenn er auf absehbare Zeit nicht realisierbar erscheint.

Hätte es jemals irgendeinen Fortschritt auf der Welt gegeben, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die geträumt hätten, die von anderen für unrealistisch und unrealisierbar gehaltene Ideen verfolgt hätten, die neues ausprobiert hätten?

Wir würden dann vielleicht immer noch in kleinen Dorf- und Stammesgemeinschaften Ackerbau und Viehzucht betreiben oder sogar als Jäger und Sammler umherziehen. Dass etwas noch nicht existiert und unrealistisch erscheint, kann und darf also kein Grund dafür sein, sich keine Gedanken darüber zu machen, wie unsere Welt und unser Leben im bestmöglichen Fall sein sollte.

Dystopien

Neben den Utopien, in denen wirklichkeitsfremde Idealzustände geschildert werden, kennen wir auch Dystopienhttps://de.wikipedia.org/wiki/Dystopie, in denen wirklichkeitsfremde, abschreckende Zustände dargestellt werden. Solche Dystopien überzeichnen oft in unserer Gesellschaft bestehende Missstände und tragen damit dazu bei, dass wir uns der realen Probleme in unserer Gesellschaft bewusster werden.

Aber mit solchen Dystopien sind wir dann eben wieder bei der eingangs kritisierten Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, die zur Lösung der Probleme selbst nur wenig bis gar nichts beiträgt.

Nutzen von Utopien

Utopien dagegen können uns nicht nur einen Spiegel vorhalten und durch den Kontrast zu unserer bestehenden Wirklichkeit zeigen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, wie der Aufklärer Christian Wolff meinte.

Vielmehr können Utopien uns als ideales Fernziel dienen, als Vorbild, als Vision, auf dies es sich hinzuarbeiten lohnt.

Ernst Bloch hat – ganz in diesem Sinne – erkannt, dass Utopie und Wirklichkeit sich nicht ausschließen, und deshalb die Utopie als das „Noch-nicht-Sein“ und als das „Mögliche“ betrachtet.

Wie wollen wir leben?

Wie wollen wir also leben?

Ich bin kein Guru. Deshalb werde ich Ihnen hier nicht meine persönliche Utopie, meine Idealvorstellungen der bestmöglichen aller Welten vorlegen.

Stattdessen mache ich Ihnen einen Vorschlag, wie Sie selbst Ihre ganz persönliche Utopie entwerfen und sich dann Schritt für Schritt daran machen, an deren Verwirklichung zu arbeiten. Sind Sie dabei?

Ihre persönliche Utopie

Im ersten Schritt geht es also darum, Ihre eigene Utopie zu entwerfen. Dazu eignen sich zwei Herangehensweisen, die Sie natürlich auch kombinieren können.

Was läuft falsch?

Die erste Möglichkeit besteht darin, dass Sie von den Bereichen Ihres persönlichen Lebens und der Gesellschaft ausgehen, mit denen Sie unzufrieden sind.

Dazu können Sie sich folgende Fragen stellen:

Womit bin ich unzufrieden?

Was läuft falsch?

Wo sehe ich Mängel?

Sicher fallen Ihnen eine Menge Probleme und Mängel ein. Schreiben Sie diese auf. Sortieren Sie diese am besten nach verschiedenen Problem- bzw. Themenbereichen: z. B. Politik, Wirtschaft, Bildung, Erziehung, Wissenschaft, Umwelt, Gesundheitswesen, Straßenverkehr, Stadtplanung, was auch immer für Sie persönlich besonders wichtig ist.

Vermutlich werden Ihnen, wenn Sie einmal damit angefangen haben, mit der Zeit auch im Alltag immer mehr solcher Probleme bewusst werden. Notieren Sie sich dann diese Überlegungen oder halten Sie sie als Sprachnotiz fest. So wächst Ihre nach Rubriken geordnete Übersicht der Missstände, Probleme und Mängel mit der Zeit und Sie erkennen bald, in welchen Bereichen sich solche Probleme besonders häufen.

Aber hatte ich nicht anfangs gesagt, wir wollten weg von der negativen Sichtweise? Richtig! Deshalb dürfen wir nicht dabei stehen bleiben, Missstände aufzuzählen. Es geht stattdessen darum, diese Missstände als Herausforderungen zu betrachten, als Probleme, für die wir Lösungen finden müssen.

Überlegen Sie sich anschließend also – ausgehend von den Problemen, die Sie erkannt haben -, wie eine Welt aussähe, in der es diese Probleme nicht gibt. Wie müsste die Welt stattdessen für Sie sein? Wie sieht eine utopische Welt aus, in der all diese Missstände nicht existieren. Was ist die ideale Gegenvorstellung?

Das können Sie entweder ganz analytisch durchdenken oder Sie kombinieren Ihren Ansatz mit dem zweiten Ansatz, den ich Ihnen gleich vorstelle. Halten Sie Ihre Überlegungen auf jeden Fall schriftlich fest!

Wie sieht die perfekte Welt aus?

Die zweite Möglichkeit – oder auch der zweite Schritt, wenn Sie zuerst von den Misständen ausgegangen sind – besteht darin, dass Sie Ihr Unterbewusstsein anzapfen, das sich einerseits schon lange mit dem beschäftigt, was Sie stört und was Sie gerne ändern würden, und das andererseits Ihre Träume „kennt“.

Dazu können Sie bei einem entspannten Spaziergang in der Natur oder zuhause in ruhiger und entspannter Atmosphäre folgender Frage nachgehen:

Wie sieht für mich die perfekte Welt aus?

Die Welt, in der ich gerne leben möchte?

Eine Welt, die für alle Menschen lebenswert ist?

Es ist hilfreich, wenn Sie dabei auch an ganz bestimmte Bereiche Ihres Lebens und der Gesellschaft denken, wie ich sie vorhin genannt habe.

Träumen Sie dabei gerne groß! Es geht hier um eine Vision. Lassen Sie sich nicht davon abhalten, dass eine Vorstellung unrealistisch oder unrealisierbar erscheint. Was wünschenswert ist, gehört in Ihre Utopie hinein, egal wie verrückt es sich anhört!

Ihre Utopie ausgestalten

Das alles ist vielleicht noch sehr vage. Nun geht es daran, Ihre Utopie – Ihre Vorstellung einer idealen Welt – konkreter auszugestalten.

Wie detailliert Sie dabei werden, liegt natürlich bei Ihnen.

Wichtiger ist, dass Sie sich im nächsten Schritt erst einmal überlegen, warum Ihre Utopie so sein sollte, wie Sie sie sich vorstellen. Gibt es für Sie konkrete Gründe dafür, dass bestimmte Aspekte Ihrer Utopie genauso sein sollen, wie Sie sich vorstellen? Oder ist das nur ein Bauchgefühl?

Stellen Sie sich vor, wie es wäre, in Ihrer utopischen Welt zu leben. Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie in Ihrer Phantasie in Ihrer eigenen Utopie leben? Wenn sich ein Aspekt Ihrer Utopie dabei nicht gut anfühlt, gehen Sie einen Schritt zurück und denken noch einmal darüber nach.

Am Ende sollte Ihre Utopie für Sie nicht nur rational stimmig und erstrebenswert sein, sondern sich auch emotional „richtig“ anfühlen.

Ihre Utopie festhalten

Damit Ihre Utopie nicht bald wieder verschwimmt und unklar wird, ist es dann an der Zeit, sie schriftlich festzuhalten. Ob Sie Ihre persönliche Utopie stichwortartig, als Mindmap oder als ausformulierten Text festhalten, ist ganz Ihnen überlassen.

Lassen Sie Ihre „fertige“ Utopie am besten ein paar Tage liegen und schauen mit etwas Abstand noch einmal darauf. Sind Sie noch überzeugt davon? Gibt es Aspekte die Sie ändern möchten?

Über Ihre Utopie reden

Bis jetzt ist Ihre persönliche Utopie noch eine ganz „geheime“ Vorstellung. Spannender wird es, wenn Sie mit Freunden, Kollegen oder dem Partner darüber sprechen. Im Gespräch mit anderen entdecken Sie ganz neue Aspekte, vielleicht auch „Schwachpunkte“ Ihrer Überlegungen. Zugleich vertiefen Sie Ihre Vorstellungen von Ihrer idealen Welt, wenn Sie diese anderen darlegen und begründen.

Wenn Sie mit anderen über Ihre Utopie gesprochen haben, wollen Sie vielleicht noch andere Aspekte ergänzen oder Dinge ändern. Das ist gut.

Die einzige Bedingung ist, dass Sie sich Ihre persönliche Utopie nicht von anderen als „unrealistisch“ oder „unrealisierbar“ madig machen lassen.

Vielleicht gewinnen Sie auf diese Weise sogar die ersten Mitstreiter, die mit Ihnen gemeinsam auf die Verwirklichung Ihrer Utopie hinarbeiten.

Kurs setzen

Haben Sie „Ihre“ Utopie klar vor Augen? Großartig!

Denn jetzt wissen Sie, wo es hingehen soll. Schon Seneca hat festgestellt, dass man wissen muss, wohin man zielt, wenn man treffen will, und welchen Hafen man ansteuern will, wenn man nicht ziellos von den Winden umhergetrieben werden will (Sen. epist. 71, 3).

Damit nun aber die Welt – Ihre Welt, unsere Welt – besser wird und sich in Richtung Ihrer utopischen Idealvorstellung hin verändert, reicht es nicht, das Idealbild vor Augen zu haben.

Es gilt dafür, was Marx in seiner elften These über Feuerbach festgestellt hat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“1

Aber wie verändern wir die Welt? Jetzt kommt der anstrengende Teil. Jetzt ist Ihre Kreativität und Ausdauer gefragt.

Um bei Senecas nautischer Metapher zu bleiben: Sie kennen nun Ihr Ziel. Sie wissen auch, wo Sie sich gerade befinden bzw. wo wir als Gesellschaft uns gerade befinden. Nun müssen Sie einen geeigneten Kurs berechnen.

Überlegen Sie, welche konkreten Möglichkeiten Sie haben, etwas in Richtung auf Ihr Ziel hin zu verändern. Wenn das Ziel und der grobe Kurs feststehen, können Sie die ersten Schritte darauf zu wagen.

Erscheint Ihre Utopie unrealisierbar, ja unerreichbar? Teilen Sie Ihre Idealvorstellung mit anderen! Finden Sie Mitstreiter! Überlegen Sie gemeinsam, was Sie tun können, um sich in Richtung auf Ihr Ziel zu bewegen, um die Welt in Richtung Ihrer Utopie hin zu verändern.

Leinen los!

Sie müssen den Kurs auch gar nicht bis ins kleinste Detail berechnet haben. Das ist bei einem hochgesteckten, „utopischen“ Ziel ohnehin nicht möglich. Aber Sie müssen anfangen. Ich sage gerne: „Macht“ kommt von „machen“! – Mach was draus! Oder um in Senecas Bild zu bleiben: Machen Sie die Leinen los. Setzen Sie die Segel! Klar zum Ablegen!

Keine Angst vor Rückschlägen!

Wenn Sie auf Hindernisse stoßen, überlegen Sie, wie Sie diese umschiffen können. Nicht immer ist die direkte Route passierbar. Selbst wenn Sie vom Kurs abkommen, können Sie jederzeit wieder den Kurs korrigieren, wenn Sie Ihr Ziel, Ihre persönliche Utopie, kennen.

Wenn Sie Ihre Utopien mit mir oder anderen Hörern von „Frisch philosophiert“ teilen möchten, schreiben Sie sie gerne in die Kommentare.

Es wird Zeit für Ihr eigene Utopie!

Und nun halte ich Sie nicht weiter auf. Entwerfen Sie Ihre persönliche Utopie! Teilen Sie sie mit anderen! Finden Sie Wege, wie Sie Ihre Idealvorstellungen umsetzen oder ihnen Schritt für Schritt näher kommen können! Verändern Sie die Welt! Verbessern Sie die Welt!

Wir hören uns bei „Frisch philosophiert“.

Ihr Magnus Frisch

Bildnachweis:

Tim Graf auf unsplash (Lizenz: free to use)

  1. Karl Marx, „Thesen über Feuerbach“, postum veröffentlicht im Anhang zu: Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, 1886.

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