Schreib Dich nicht ab! Lern philosophieren!
„Philosophieren? Wie geht denn das? Keine Ahnung, wie ich das machen soll. Habe ich nie gelernt.“
„WAS??? Du kannst nicht philosophieren? Unvorstellbar! Schreib Dich nicht ab! Lern philosophieren!“1
Philosophieren? Als Kulturtechnik????
Woran denken Sie zuerst, wenn Sie das Wort „Kulturtechnik“ hören? Ich vermute mal, Sie denken zuerst an Lesen, Schreiben und Rechnen. Richtig?
Philosophieren kommt Ihnen da vermutlich nicht ohne Weiteres in den Sinn.
Und doch geht es in dieser Folge von „Frisch philosophiert“ um das Philosophieren als Kulturtechnik.
Dazu machen wir uns ein paar Gedanken, was eigentlich genau unter dem Konzept „Kulturtechnik“ verstanden wird und wie ausgerechnet das Philosophieren da hinein passt.
Die Idee, dass Philosophieren eine Kulturtechnik ist bzw. sein sollte, stammt nicht von mir. Der Philosophiedidaktiker Ekkehard Martens hat eines seiner Bücher mit „Philosophieren als elementare Kulturtechnik“2 betitelt. Das hat mich dazu inspiriert, mir die Verbreitung dieser „Kulturtechnik“ auf die Fahnen zu schreiben.
Ich bin überzeugt, dass es uns allen, als einzelnen und als Gesellschaft gut tut, Philosophieren als „Kulturtechnik“ und lohnenswerte „Lebensform“ zu betrachten. Auf die Philosophie als „Lebensform“ werde ich in der nächsten Folge eingehen.
Heute geht es um die Philosophie als „Kulturtechnik“.
Was ist eine Kulturtechnik?
Der Begriff „Kulturtechnik“ wird im Deutschen für zwei verschiedene Bereiche verwendet. Zum einen im Bereich des Ackerbaus, der Agricultur. Dort bezeichnet der Begriff „Kulturtechnik“ alle Maßnahmen und Verfahren, die dazu dienen, landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen oder zu erhalten bzw. den Boden zu verbessern und die Erträge zu steigern. Doch diese Bedeutung soll uns hier nicht interessieren.
Für unsere Überlegungen ist die zweite Bedeutung wichtig. Im Bereich der Bildung bezeichnet der Begriff „Kulturtechnik“ Fähigkeiten, die durch Erziehung vermittelt werden und es den Menschen ermöglichen, sich Kultur anzueignen, diese zu erhalten und zu verbreiten. Oder nach einer anderen Definition (wikipedia): „Kulturtechniken sind kulturelle und technische Konzepte zur Bewältigung von Problemen in unterschiedlichen Lebenssituationen.“
Zu diesen Kulturtechniken gehören aber nicht nur das Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese drei Kulturtechniken sind zwar besonders grundlegend, weil sie viele andere Kulturtechniken erst ermöglichen. Kulturtechniken sind aber auch Fähigkeiten wie beispielsweise Feuer machen, Landwirtschaft betreiben, Kunst, Wissenschaft, Zeitmessung, sich mit Hilfe von Karte und Kompass oder GPS zu orientieren und noch einige andere mehr.
Wie passt nun das Philosophieren dazu?
Lassen Sie uns zunächst prüfen, inwiefern das Philosophieren unserer Begriffsbestimmung der „Kulturtechnik“ gerecht wird.
Erziehung
Das Philosophieren wird für gewöhnlich durch Erziehung vermittelt.
Zugegeben: Alle Menschen bringen als Kinder eine weltoffene, neugierige Grundhaltung mit, die für das Philosophieren grundlegend ist. Sehr viele Kinder stellen sich und ihrem Umfeld sehr philosophische Fragen.
Aber gefördert und ausgebildet wird das Philosophieren nur dann, wenn sich die Erwachsenen Zeit nehmen, auf die Fragen des Kindes einzugehen. Wenn sie das Fragen und Philosophieren des Kindes fördern und weiter anregen. Manchmal wird diese im Kind schlummernde Anlage auch erst durch eine anregende Umgebung und Fragen von Erwachsenen in der Familie geweckt. In diesem Sinne wird die natürliche Offenheit und Neugier des Kindes durch eine informelle Art von „Erziehung“ im weitesten Sinne vermittelt.
Darüber hinaus wird das Philosophieren aber auch im Rahmen institutioneller Erziehung gezielt vermittelt: So gibt es die Fächer „Philosophieren mit Kindern“, „Philosophie“, „Praktische Philosophie“ oder auch „Ethik“ in vielen Bundesländern. Zum Teil sogar schon ab der Grundschule oder auch als Angebote in KiTas. Oft ist das Unterrichtsfach „Philosophie“ dabei eine Wahlalternative zum Fach Religion. Das Philosophieren im weiteren Sinne als Nachdenken über philosophische Fragen findet sich sogar in vielen Curricula verschiedenster Schulfächer. 3
Und natürlich gibt es die wissenschaftliche Disziplin Philosophie, die man im Rahmen verschiedenster Studiengänge als Haupt- oder Nebenfach oder als Ergänzungsmodul studieren kann.
Das Kriterium der Vermittlung durch Erziehung ist also erfüllt.
Kulturaneignung, -erhalt und -verbreitung
Inwiefern ermöglicht uns nun das Philosophieren, uns Kultur anzueignen, die Kultur aufrechtzuerhalten oder zu verbreiten?
Der offene, staunende, neugierige und hinterfragende Charakter des Philosophierens trägt dazu bei, dass wir die Welt, die uns umgibt, nicht ohne weiteres hinnehmen. Vielmehr stellen wir uns beim Philosophieren grundlegende Fragen über die Welt, den Menschen, den Sinn des Lebens, das menschliche Miteinander in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft, über die Schönheit, die Kunst und noch vieles andere mehr. Das kritische Hinterfragen, das für das Philosophieren typisch ist, führt dazu, falsche Überzeugungen und Missverständnisse aufzudecken, und regt dadurch die gesellschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung an.
Bewältigung von Problemen in unterschiedlichen Lebenssituationen
Und schließlich hilft das Philosophieren bei der Bewältigung von Problemen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Indem wir uns fragen, wie wir richtig handeln, ein gutes und erfülltes Leben führen, was der Sinn des Lebens – für uns persönlich oder generell für den Menschen – ist, was nach dem Tod kommt, wie wir überhaupt zu Erkenntnis über uns und die Welt kommen können, was eigentlich den Menschen ausmacht – etwa im Vergleich zu Pflanzen und Tieren oder auch zu Maschinen und künstlicher Intelligenz oder aber zu Gott. Indem wir uns als einzelne, im Gespräch mit anderen oder auch institutionell mit solchen Fragen auseinandersetzen, wird es uns möglich, sowohl individuelle Lebenskrisen als auch gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen oder wenigstens zu deren Bewältigung beizutragen.
Zwischenfazit
Es ist also absolut gerechtfertigt, das Philosophieren als „Kulturtechnik“ zu bezeichnen.
Konzept bei Martens
Der Philosophiedidaktiker Ekkehard Martens hat sich der Bestimmung des Philosophierens als Kulturtechnik ein wenig anders genähert: 4
Er versteht das Philosophieren unter verschiedenen Gesichtspunkten als elementare „Kulturtechnik, die […] zu unserer Kultur gehört“. Martens verweist darauf, dass das Philosophieren „als allgemeines Merkmal [der] menschlichen Natur gelten“ kann. Zudem – so Martens – gehört das Philosophieren zu unserer westlichen Kultur. Und schließlich sieht Martens im Philosophieren ein Element einer sinnvollen Lebensweise und eines selbstbestimmten Lebens. 5
Martens sieht die Funktion des Philosophierens als Kulturtechnik darin, zur Entwicklung der Kritikfähigkeit, zur Persönlichkeitsentwicklung und zur demokratischen Erziehung beizutragen.
Martens beschränkt sich bei seiner Bestimmung zwar auf den schulischen Bildungsbereich. 6
Aber Erziehung findet eben nicht nur institutionell im Rahmen von Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen statt.
Erziehung findet informell auch in Familien, Vereinen, Gemeinden statt. Überall dort, wo lebenserfahrenere Menschen mit anderen Menschen zusammenkommen, die jünger und weniger lebenserfahren sind, können wir im weitesten Sinne von Erziehung sprechen.
Bedeutung für jeden von uns
Typisch für die anderen Kulturtechniken, die ich vorhin genannt habe, ist, dass sie nicht nur für die Gesellschaft als ganzes wichtig sind. Eine Kulturtechnik wie das Lesen, Schreiben, Rechnen, die Benutzung von Uhren und Kalender, das Orientierung mit Hilfe von Karte, Kompass oder GPS ist zugleich für jeden einzelnen wichtig, um sein eigenes Leben bewältigen zu können.
Genauso verhält es sich mit dem Philosophieren.
Das Philosophieren ist nicht nur für unsere Kultur und Gesellschaft wichtig. Philosophieren ermöglicht jedem einzelnen von uns, sich im Leben zurechtzufinden. Wenn wir philosophieren, verschaffen wir uns immer größere Klarheit über die Welt, die uns umgibt. Wenn wir philosophieren, verschaffen wir uns auch Klarheit darüber, was uns persönlich wichtig ist. Wir setzen uns bewusst mit unseren Sinnfragen, Werten, Prinzipien, Überzeugungen und Zielen auseinander. Wir nehmen andere Perspektiven ein und lassen uns auf die Positionen anderer ein. Auf diese Weise trägt das Philosophieren auch zum besseren Miteinander bei.
Natürlich tauchen dabei immer neue Fragen auf, die uns zum Weiterphilosophieren anregen.
Konsequenzen
Ich halte es deshalb für wichtig, dass das Philosophieren Bestandteil der Erziehung in unserer Gesellschaft ist.
Wir sollten schon die Kleinsten dazu anregen, Fragen zu stellen und die Welt zu verstehen. Dazu braucht es gar nicht viel. Die Kinder bringen diese Haltung von selbst mit. Wir dürfen die Haltung nur nicht ausbremsen oder unterbinden.
In den KiTas und Grundschulen sollte das Philosophieren mit Kindern seinen festen Platz haben. Nicht nur als Alternative zum Fach Religion, sondern unabhängig davon.
Auch in den weiterführenden Schulen sollte das Philosophieren nicht nur als Unterrichtsprinzip in allen Fächern Einzug halten, sondern auch im Rahmen eines verpflichtenden Faches von allen Schülerinnen und Schülern belegt werden.
Im Studium – egal in welchem Studiengang – sollte das Philosophieren im Rahmen eines „Studium Generale“ seinen festen Platz finden, nicht als Vermittlung philosophischen und philosophiehistorischen Fachwissens, sondern als Einüben in die Haltung, Techniken und Methoden des Philosophierens.
Wenn wir das Philosophieren so in unserer Bildung und Kultur verankern, profitieren das Leben jedes einzelnen und unsere gesellschaftliche Entwicklung mit Sicherheit enorm.
Anregungen
Wie sehen Sie das? Ist es überzogen, das Philosophieren als Kulturtechnik zu betrachten?
Welche Bedeutung hat das Philosophieren für Sie?
Welchen „Nutzen“ für sich selbst und für die Gesellschaft sehen Sie im Philosophieren?
Welche Möglichkeiten fallen Ihnen ein, das Philosophieren als Kulturtechnik weiter zu fördern? Was können Sie persönlich dafür tun?
Vielleicht begleiten diese Fragen und meine Überlegungen zum „Philosophieren als Kulturtechnik“ Sie ja heute oder in den nächsten Tagen noch ein wenig gedanklich.
Wir hören uns
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Alles Gute und viel Spaß beim Philosophieren!
Wir hören uns bei „Frisch philosophiert“.
Ihr Magnus Frisch
- Ich hoffe, Sie sehen mir diese kleine Anspielung auf die Alphabetisierungskampagne des ALFA-Telefons nach.
- Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover ²2005, bes. S. 30-33.
- Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover ²2005, S. 40.
- Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover ²2005, S. 30.
- Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover ²2005, S. 30.
- Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover ²2005, S. 30-31.
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