Erfolgsfaktor Schönheit
Schön zu sein, gilt als erstrebenswert. Wer schön ist, bekommt Aufmerksamkeit und ist beliebt. Schöne Menschen erreichen scheinbar alles das, was wir uns wünschen. Sie stehen im Rampenlicht. Sie zieren Werbeplakate und Zeitschriftencover. Schöne Menschen strahlen uns als Influencer auf Social-media-Plattformen an. Sie laufen als Supermodels über die Laufstege und sind als Schauspieler auf der Leinwand zu bewundern. Schön sein ist für viele gleichbedeutend mit Reichtum, Luxus, Ruhm und Anerkennung.
Und selbst wer es nicht in die erste Riege der Superschönen schafft oder vielleicht auch nicht die Ambitionen dazu hat, findet als schöner Mensch leichter Freunde, Beachtung, Anerkennung. Schönheit ist unter den Menschen so wirkungsvoll, dass wir schönen Menschen leicht verfallen oder uns sogar von ihnen manipulieren lassen. Wer schön ist, hat es im Leben leichter. Oder nicht?
Mission: Schön sein
Aber nicht jeder oder jede wird makellos schön geboren. Zudem sind die Schönheitsideale – auch wenn es da natürlich einige evolutionsbiologische Konstanten geben mag – abhängig von den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Vorlieben. Was heute noch als schön gilt, ist es in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr – und umgekehrt.
Um in den Genuss der Vorteile des Schönseins zu gelangen oder angesichts gewandelter Schönheitsideale – oder der Auswirkungen des Alters – zu bleiben, scheuen viele Menschen weder Kosten noch Mühen:
Sie geben Geld für Cremes und Make up aus und investieren viel Zeit, um sich morgens oder vor einem wichtigen Event zu schminken und zu stylen. Sie gehen zum Friseur, um sich die jeweils angesagten Frisuren machen zu lassen und die Haare in der aktuellen Trendfarbe färben zu lassen. Männer tragen neuerdings kunstvoll in Form gebrachte Bärte. Manche verbringen Zeit im Sonnenstudio, um ganzjährig schön gebräunt zu sein.
Da zur Schönheit natürlich auch eine schöne, schlanke und gestählte Figur gehört, schwitzen viele Menschen stundenlang im Fitnessstudio an Hanteln und Geräten. Viele laufen mehrfach in der Woche lange Strecken, um schlank und fit zu bleiben oder zu werden. Nicht wenige Leute probieren ständig neue Diäten aus.
Wer mit seinem naturgegebenen Aussehen unzufrieden ist und das mit Make up, Sport, Diät und Kleidung nicht kaschieren kann, hat auch die Möglichkeit, durch plastische Chirurgie nachhelfen zu lassen.
Nicht umsonst sagt der Volksmund: „Wer schön sein will, muss leiden.“
Vorsicht: Nebenwirkungen!
Welche Nebenwirkungen sollte denn Schönheit für den schönen Menschen selbst haben? Probleme bereitet doch die Schönheit eines Menschen allenfalls Menschen in seinem Umfeld, die neidisch und eifersüchtig werden oder dem schönen Menschen verfallen, oder?
Um Schönheit beten? – Besser nicht! (Juvenal, Satiren 10, 289–345)
Der römische Satiriker Juvenal warnt davor, um Schönheit zu beten. Ausgangspunkt seiner Erörterungen zu den Gefahren, die die Schönheit für einen Menschen mit sich bringen kann, ist die Bitte einer Mutter an die Liebesgöttin Venus, dass ihre Söhne und Töchter schön werden mögen (Iuv. 10, 289–291).
Doch die Erfüllung eines solchen Wunsches würde die Eltern unglücklich machen, da Schönheit und Keuschheit selten einträchtig nebeneinander existierten (Iuv. 10, 295–298). Folgende Gefahren für das schöne Kind erörtert Juvenal am Beispiel der Söhne, das jedoch wohl problemlos auch auf die Töchter übertragbar ist:
- Ein schöner Mensch könnte trotz tadelloser Erziehung und bester Charaktereigenschaften aufgrund seiner Schönheit zum Objekt der Begierde für Verführer werden (Iuv. 10, 298–309).
- Wer schön ist, gerät in die Gefahr, zum Ehebrecher zu werden, weil sich auch Menschen in Beziehungen zu ihm stark hingezogen fühlen (Iuv. 10, 310–318).
- Der schöne Mensch könnte es genießen, sich für die Hingabe an andere bezahlen zu lassen, und dabei auch noch gierig werden (Iuv. 10, 319–323).
- Wenn der schöne Mensch versucht, keusch zu bleiben, zieht er sich möglicherweise sogar den Zorn der Verschmähten zu (Iuv. 10, 324–345).
Kurzum: Nach Juvenals Ansicht gefährdet Schönheit den Charakter, die Sicherheit und die Seelenruhe eines Menschen. Daher solle man nicht danach streben.
Alles nur Übertreibung und Panikmache?
Man könnte einwenden, dass Juvenals Warnung einer Satire entstammt und mit dem echten Leben nichts zu tun habe. Auch ließe sich argumentieren, dass die von Juvenal besprochenen Gefahren sich auf die Lebenswelt im kaiserzeitlichen Rom des 1./2. Jh. n. Chr. beziehen und daher wohl nicht auf unsere heutige Zeit übertragbar seien.
Aber ist das wirklich so? Können wir es uns so einfach machen?
Moderne Gefahren
Welche Gefahren bestehen heute für schöne Frauen und Männer?
Wer schön ist, wird leicht auf sein Aussehen reduziert und in anderen Bereichen unterschätzt.
Schöne Menschen sind gefragt als Liebhaber/in, Freund/in, Beziehungspartner/in. Man umgibt sich gerne mit ihnen. Aber können diese Menschen sicher sein, dass sie als Mensch, als Person, aufgrund ihres Charakters beliebt und angesehen sind? Dass sich die anderen Leute nicht nur mit ihnen schmücken und etwas von ihrem Glanz abhaben wollen?
Schlimmer noch: Sie werden leicht zum Objekt der Begierde und geraten unter Umständen dadurch in Gefahr, zum Opfer von Stalkern zu werden. Der Rose in Goethes Gedicht vom Heidenröslein wurde ihre Schönheit jedenfalls zum Verhängnis.
Oder etwas harmloser: Sie werden zum Objekt der Rivalität von Verehrer/innen.
Sie werden offen oder unterschwellig zur Zielscheibe des Neids der weniger Schönen. Wenn den so beliebten, schönen Menschen ein Missgeschick passiert, stürzt man sich umso lieber auf sie. Dann ernten Sie Häme und Spott, damit sich die Neider und Spötter selbst besser fühlen. Das ist allerdings nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal der Schönheit. Erfolg, Ruhm und Macht ziehen Neid genauso an.
Es ist tatsächlich verführerisch, sich der Macht und Wirkung der eigenen Schönheit auf andere zu bedienen, um seine eigenen Wünsche zu erfüllen und seine eigenen Interessen durchzusetzen. Sei es, dass man die Mitmenschen subtil manipuliert, sei es, dass man mehr oder weniger offen Kapital aus seiner Schönheit schlägt: als Model, Influencer/in, Schauspieler/in, Geliebte/r oder Prostituierte/r.
Oder weniger „anrüchig“: Man genießt seine Wirkung auf andere, kommt in jeden Club, wird auf alle Parties eingeladen. Wird von anderen auf einen Drink eingeladen. Kurz: Man hat aufgrund der Schönheit Vorteile, die andere nicht haben. Hat es leichter als andere. Muss sich weniger anstrengen. Es kriselt in der Beziehung? Warum daran arbeiten, wenn man weiß, dass die Verehrer/innen ohnehein Schlange stehen oder man zumindest sicher sein kann, schnell wieder jemanden zu finden?
So ganz ohne Nebenwirkungen ist die Schönheit also wohl tatsächlich nicht.
Also lieber nicht schön sein, oder wie?
Ich hoffe, diese Überlegungen haben Sie nun nicht verschreckt. Schönheit ist weder schlimm noch verwerflich. Ganz im Gegenteil! Schönheit bereitet uns Menschen Freude. Zu Recht genießen wir den Anblick von Schönheit in unserem Leben, egal ob das nun die Schönheit der Natur, der Architektur, der Musik oder der Kunst ist – oder ob es die Schönheit der Menschen um uns herum ist.
Doch man muss sich die Wirkung der Schönheit bewusst machen. Wir müssen uns bewusst machen, wie die Schönheit anderer auf uns wirkt. Wir müssen uns aber auch bewusst machen, wie unsere eigene Schönheit auf die Menschen um uns herum wirkt.
Wenn Sie um Ihre Schönheit und deren Wirkung auf andere wissen, sollten Sie verantwortungsvoll damit umgehen. Sie sollten sich von Zeit zu Zeit fragen, ob das, was Sie bei anderen erreichen und bewirken, wirklich Ihrem Charakter, Ihren Fähigkeiten und Ihrer Leistung zu verdanken ist. Vielleicht thematisieren Sie das, indem Sie es offen ansprechen?
Sie wollen Ihre Wirkung bewusst einsetzen? Denken Sie darüber nach, ob die Ziele, für die Sie Ihre Wirkung einsetzen, angemessen und moralisch vertretbar sind. Haben Sie es nötig, Ihre Ziele durch den gezielten Einsatz Ihrer Schönheit zu erreichen, oder könnten Sie das auch auf andere Weise?
Für einen entspannten Umgang mit Schönheit
Solange wir nicht dem Schönheitswahn verfallen und alles nur noch der Optimierung unseres Äußeren unterordnen, ist das Streben nach Schönheit völlig in Ordnung.
Es ist absolut akzeptabel, seine Schönheit zu zeigen und die Aufmerksamkeit dafür zu genießen. Allerdings sollten sich sich nicht von der Aufmerksamkeit und Wertschätzung aufgrund Ihrer Schönheit abhängig machen. Und erst recht sollten Sie Ihre Schönheit nicht dazu nutzen, andere Menschen zu manipulieren.
Natürlich ist es auch legitim, aus seiner Schönheit Kapital zu schlagen, wenn es einen Markt dafür gibt. Was wäre ein Film ohne schöne Schauspieler, eine Werbung oder Modenschau ohne schöne Models?
In diesem Sinne: Genießen Sie die Schönheit in sich und um sich herum – bewusst und verantwortungsvoll!
Fragen und Anregungen:
- Was bedeutet „schön“ für Sie?
- Wenn Sie das nächste Mal einen Menschen „schön“ finden, versuchen Sie, sich bewusst zu werden, welche Attribute genau diese Schönheit ausmachen.
- Tauschen Sie sich mit Freunden und Bekannten darüber aus, was auch Ihrer Sicht ein schöne Frau oder einen schönen Mann ausmacht.
- Wie reagieren Sie auf schöne Menschen?
- Machen Sie sich doch einmal bewusst, warum Sie wie auf eine schöne Person reagieren.
- Halten Sie sich für schön? Wir wirken Sie auf andere?
- Beobachten Sie doch einmal gezielt, wie Sie auf andere Menschen wirken.
- Fragen Sie Ihre Freunde oder Ihre/n Partner/in, was diese an Ihnen „schön“ finden.
- Gehen Sie einmal gezielt ohne Make up und aufwendiges Styling aus, betonen Sie Ihre Schönheit nicht. Ändert sich das Verhalten Ihrer Mitmenschen Ihnen gegenüber?
- Hatten Sie schon einmal aufgrund Ihres Aussehens Vorteile gegenüber anderen Menschen bzw. „Konkurrenten“?
- Nutzen Sie die Wirkung Ihrer Schönheit gezielt aus?
- Wie fühlen Sie sich dabei?
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