Philosophieren als Lebensform (FPh #4)

Frau schaut aus dem Fenster und philosophiert

Was kommt da auf mich zu?

Manche Leute halten das Philosophieren für Zeitverschwendung. Einige mögen es einfach nicht oder können nichts damit anfangen. Wieder andere philosophieren gerne ab und an, wenn sie Zeit und Muße oder die richtige Gesellschaft dazu haben. Und dann gibt es noch diejenigen, die das Philosophieren als Lebensform kultivieren.

Aber was heißt das überhaupt – Philosophieren als Lebensform?

Bin ich dann nur noch damit beschäftigt, alles zu reflektieren?

Befasse ich mit dann in jeder freien Minute mit den Schriften großer Philosophen? Lese ich nur noch philosophische Bücher? Höre ich nur noch philosophische Podcasts? Schaue ich mir dann regelmäßig im Fernsehen philosophische Talkshows wie „Precht“ an?

Muss ich dazu Philosophie studieren?

Verwickle ich dann meine Mitmenschen permanent in philosophische Diskussionen? – Sokrates lässt grüßen!

Und vor allem, muss ich dann so weit gehen, die Überzeugungen und Haltungen, auf die ich durch mein Philosophieren gekommen bin, 100prozentig in meinem Leben umzusetzen? Muss ich etwa selbstgenügsam wie Diogenes in einer Tonne leben und auf alles verzichten, was ich nicht unbedingt zum Leben brauche?

Wenn das für Sie nach einer Horrorvorstellung klingt oder zumindest ziemlich nerdig, dann kann ich Sie beruhigen.

Um das Philosophieren zu Ihrer Lebensform zu machen oder es in Ihr Leben und Ihren Alltag zu integrieren, müssen Sie das alles nicht und vor allem nicht ständig tun.

In dieser Folge von „Frisch philosophiert“ beschäftige ich mich mit dem Philosophieren als Lebensform. Dazu spreche ich über Möglichkeiten, das Philosophieren und die Philosophie eben nicht nur als akademische Disziplin oder geistige Übung zu betrachten, sondern es in das eigene Leben zu integrieren und als Richtschnur für die eigene Lebensführung zu nutzen.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit!

Nehmen Sie sich doch, bitte, ein paar Minuten Zeit und denken über folgende Fragen nach:

Was bedeutet Ihnen das Philosophieren?

Welche Rolle spielt es in Ihrem Leben?

Auf welche Weise philosophieren Sie am liebsten?

Wann philosophieren Sie?

Nehmen Sie sich bewusst Zeit fürs Philosophieren?

Oder „gleitet“ Ihr Denken manchmal einfach so ins Philosophieren „ab“, wenn Sie Zeit und Muße dafür haben?

Über welche Themen philosophieren Sie gerne?

Philosophieren Sie lieber allein, zu zweit mit einem Gesprächspartner oder sogar in kleinen oder größeren Gruppen, die sich extra zum Philosophieren treffen?

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie gerne mehr philosophisches Hintergrundwissen hätten, um selbst zu philosophieren?

Halten Sie den Podcast gerne einen Moment an, um über diese Fragen in Ruhe nachzudenken. Wenn Sie wollen, holen Sie sich einen Zettel und einen Stift dazu und halten Ihre Überlegungen schriftlich fest.

Bis gleich!

Und? – Dann also weiter!

Willkommen zurück! Die Auseinandersetzung mit den Fragen zur Rolle des Philosophierens in Ihrem Leben war mit Sicherheit erhellend für Sie. Vielleicht haben Sie gerade festgestellt, wie wichtig das Philosophieren für Sie schon ist und wie gut Sie es in Ihr Leben integriert haben.

Möglicherweise haben Sie aber auch gerade gemerkt, dass das Philosophieren in Ihrem Leben bisher gar nicht so richtig vorkommt. Das ist auch völlig in Ordnung! Wenn Sie damit zufrieden sind, bestens. Wenn Sie aber dem Philosophieren gerne mehr Raum in Ihrem Leben geben möchten, dann habe ich ein paar Anregungen für Sie.

Zunächst einmal: Es gibt nicht die EINE, einzig richtige Art und Weise zu philosophieren. Deshalb gibt es auch nicht die EINE, einzig richtige Art des Philosophierens als Lebensform.

Ein Konzept: Gernot Böhme

Es gibt Entwürfe und Vorschläge zur Philosophie als Lebensform wie etwa den, den der Philosoph Gernot Böhme in seinem Buch „Einführung in die Philosophie. Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft“ entfaltet.1 Dieser Entwurf orientiert sich an dem ursprünglichen Verständnis der Philosophie als eines Strebens nach Weisheit.

Dabei geht es Böhme „nicht so sehr um inhaltliches Wissen, als vielmehr um die Reife und Weisheit der Person“ 2 , wie er es formuliert. Allerdings stellt Böhme meines Erachtens doch sehr hohe Ansprüche an „die Philosophie als Lebensform“, die eben nicht für jedermann geeignet oder wünschenswert sei, auch wenn „sehr viele Eigenschaften des traditionellen Philosophenideals heute jedermann zukommen“, wie Böhme schreibt. 3 Grundforderungen an eine solche Philosophie sind für Böhme: Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit; Wiederaneignung des Leibes; Kommunikation als „Selbstgewinnung in der Auseinandersetzung mit anderen“ sowie das „Erreichen des Lebens in seiner Präsenz“. 4

Böhmes Anregungen sind lesens- und lohnenswert. Ich werde sie hier aber nicht weiter ausführen.

Ich werde vielmehr anhand einiger Leitfragen Möglichkeiten vorstellen, wie wir, Sie, ich – jedermann – das Philosophieren in unser Leben einbinden können und warum sich das für uns lohnt.

Leitfragen

Wer?

Als erstes widme ich mich der Frage, wer denn philosophieren und das Philosophieren in seine Lebensweise integrieren kann oder sollte.

Grundsätzlich kann jeder philosophieren. Schon kleine Kinder stellen erstaunlich philosophische Fragen. Auch wenn bei manchen die Fähigkeit zum Philosophieren nicht gefördert oder im Gegenteil sogar ausgebremst wird, kann jeder auch später das Philosophieren erlernen. Meines Erachtens sollte auch jeder diese Kulturtechnik beherrschen.

Das heißt aber nicht, dass auch jeder Mensch das Philosophieren zu seiner Lebensform erheben oder in seine Lebensweise integrieren muss. Wer keine Freude am Philosophieren hat, sollte sich nicht dazu zwingen. Als „Pflichtübung“ taugt das Philosophieren meiner Meinung nach nicht.

Wer aber mit offenen Augen durch die Welt geht, wer nicht alles einfach hinnimmt, sondern darüber staunt, warum etwas so ist, wie es ist, wer scheinbare Gewissheiten hinterfragt, wer die Welt gerne aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, für den bietet es sich an, das Philosophieren bewusst und systematisch in sein Leben zu integrieren, wenn er oder sie es nicht ohnehin schon tut.

Was?

Was ist denn nun eigentlich Philosophieren?

Philosophieren ist gerade nicht nur die Auseinandersetzung mit den Fragen, mit denen sich die akademische, wissenschaftliche Philosophie beschäftigt oder mit denen sich die großen Philosophen der Vergangenheit befasst haben. Philosophieren ist in der ursprünglichen Bedeutung das Streben nach Weisheit – nicht unbedingt nach Wissen, sondern danach, die Welt und das Leben zu verstehen.

Philosophieren heißt – mitunter sehr radikal – alles zu hinterfragen, was scheinbar selbstverständlich ist. Es bedeutet, den Dingen auf den Grund zu gehen, zu zweifeln, Vermutungen anzustellen und diese zu überprüfen. Das heißt auch, dass man sich bewusst ist, dass die Erkenntnisse zu denen wir bei unseren Überlegungen gekommen sind, nicht in Stein gemeißelt sind. Vielmehr müssen wir weiter offen für die Möglichkeit sein, auch diese „Ergebnisse“ unseres Philosophierens gegebenenfalls in Frage zu stellen. Zum Philosophieren gehört es auch, sich auf die Perspektiven anderer einzulassen und den eigenen Blickwinkel ändern zu können. Ganz nach dem Motto „Ist das so, ich meine muss das so?“ dem die Band „Wir sind Helden“ eines ihrer Lieder gewidmet hat.

Wir sind Helden: „Die Reklamation“

Wann?

Heißt Philosophieren als Lebensform, dass man jederzeit 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche kontinuierlich philosophiert? Auf keinen Fall. Das wäre nicht nur ziemlich schräg, sondern mit Sicherheit auch lebensfeindlich und lebensgefährlich:

Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie sind beim Autofahren in philosophische Überlegungen vertieft und übersehen einen Fußgänger, Radfahrer oder ein anderes Auto! Gegen das, was dann passieren kann, ist der Sturz des Thales in den Brunnen bei seiner Himmelsbetrachtung wohl noch vergleichsweise harmlos. Daher hier die Warnung: Philosophieren Sie, bitte, nur dann, wenn Sie nicht gerade aktiv am Straßenverkehr teilnehmen!

Aber im Ernst! Auch in anderen Situationen des Alltags ist es nicht ratsam zu philosophieren. Wenn Sie – in was für einer Situation auch immer – schnell reagieren und handeln müssen, können Sie sich nicht die Zeit nehmen, das Problem erst stundenlang aus allen Perspektiven und unter Berücksichtigung aller Aspekte zu durchdenken und zu hinterfragen.

Welche Situationen fallen Ihnen ein, in denen es eher schädlich wäre zu philosophieren?

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wir immer dann, wenn wir Zeit und Muße haben, immer dann, wenn wir nicht innerhalb kurzer Zeit entscheiden und reagieren müssen, philosophieren können – und sollten.

So könnten Sie sich eine feste Zeit in der Woche einplanen, in der sie ganz gezielt und ungestört über die Fragen philosophieren, die Ihnen im Laufe der Woche in den Sinn gekommen sind. (Am besten notieren Sie sich die Fragen und Probleme, die Ihnen zwischendurch einfallen, in einem Notizbuch.) Im Idealfall blocken Sie sich sogar für jeden Tag eine halbe Stunde, in der Sie ganz bewusst und ungestört philosophieren. Vielleicht schon morgens nach dem Aufstehen als Teil Ihres Morgenrituals. Oder während Ihrer Kaffee- oder Teepause. Oder auch am Abend vor dem Zubettgehen. Welche Zeit und welcher Rhythmus passt am besten in Ihren Alltag?

Wie?

Alleine oder mit anderen

Am einfachsten lässt es sich natürlich in Ihren Alltag integrieren, wenn Sie alleine für sich philosophieren. Aber vielleicht haben Sie ja Gleichgesinnte, mit denen Sie zu zweit oder sogar in kleinen Gesprächsrunden regelmäßig oder auch spontan philosophieren können.

Ein Mann denkt nach
Ungestört philosophieren (Photo by Eddie & Carolina Stigson on Unsplash)

Das hat gleich mehrere Vorteile: Sie alle bringen ja unterschiedliche Kenntnisse, Lebenserfahrungen und Meinungen in das philosophische Gespräch mit ein. Dadurch können Sie Ihr Denken gegenseitig und gemeinsam erweitern und weiterentwickeln. Außerdem können Sie sich gegenseitig auf Denkfehler oder „blinde Flecken“ in Ihrer Argumentation aufmerksam machen. Zudem macht es Spaß, gemeinsam zu philosophieren. Allerdings ist die Voraussetzung dafür, dass auch alle Beteiligten wirklich am Erkenntnisgewinn orientiert sind – und nicht einfach daran, Recht zu haben.

Freunde philosophieren zusammen
Freunde philosophieren zusammen Photo by Brooke Cagle on Unsplash)

Beginnen Sie doch einfach einmal philosophische Gespräche mit Ihrem Partner, Freunden, Kindern und Kollegen!

Und wenn Sie in Ihrem direkten Umfeld keinen geeigneten Sparringspartner fürs Philosophieren finden? Dann suchen Sie sich doch einen philosophischen Brief- oder E-Mailpartner, z. B. in sozialen Netzwerken oder Internetforen! Oder telefonieren oder skypen Sie mit anderen philosophisch interessierten Menschen. Nutzen Sie Veranstaltungen wie Philosophische Cafés, um andere Philosophieinteressierte kennenzulernen.

Erzählen Sie anderen von Ihren eigenen philosophischen Überlegungen.

Und wie genau philosophiert man nun?

Damit Ihre philosophischen Gedanken nicht so schnell wieder verfliegen, wie sie gekommen sind, führen Sie am besten – analog oder digital – eine Art philosophisches Notizbuch. Schreiben Sie Ihre Gedanken auf oder nehmen Sie ihre Überlegungen als Sprachnotiz oder Video auf!

Eine Frau schreibt ihre Gedanken auf
Die eigenen philosophischen Gedanken schriftlich festhalten (Photo by Marcos Paulo Prado on Unsplash)

Stellen Sie in einem Blog, einem Podcast oder einem Video oder in Ihren sozialen Netzwerken anderen Ihre philosophischen Gedanken vor und kommen Sie mit Ihren Lesern, Hörern oder Zuschauern ins Gespräch.

Auf einige Methoden des Philosophierens werde ich in einer späteren Folge von „Frisch philosophiert“ detaillierter eingehen.

Wo?

Das Gute am Philosophieren ist auch, dass man es überall tun kann: auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Heimweg; bei einem Spaziergang oder einer Wanderung; zuhause auf dem Sofa, am Schreibtisch, selbst im Bett; im Park, im Wald, am Strand, in den Bergen; im Café oder in der Kneipe.

Wo philosophieren Sie gerne? Welche Orte fallen Ihnen noch ein, an denen man philosophieren kann?

Das Philosophieren in Ihr Leben integrieren

Doch so anregend es ist, alleine oder mit anderen Menschen spontan oder zu festen Zeiten philosophischen Gedanken nachzugehen – eine philosophische Lebensform erfordert mehr!

Wozu philosophieren Sie sonst?

Es genügt meiner Meinung nach nicht, zu philosophieren und sich am bloßen Erkenntnisgewinn zu erfreuen. Beziehen Sie Ihre Überlegungen und Ihre neugewonnenen Erkenntnisse auf Ihr eigenes Leben! Fragen Sie sich: Was bedeutet das für mich? Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse meines Philosophierens für mich und meine Mitmenschen? Wie kann oder sollte ich meine Lebensführung, Überzeugungen oder Gewohnheiten ändern?

Kurz gesagt: Machen Sie etwas aus Ihrem Philosophieren!

Wir hören uns!

Alles Gute und viel Spaß beim Philosophieren!

Wir hören uns bei „Frisch philosophiert“.

Ihr Magnus Frisch

  1. Gernot Böhme, Einführung in die Philosophie. Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft, Frankfurt am Main 1994.
  2. Gernot Böhme, Einführung in die Philosophie. Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 147.
  3. Gernot Böhme, Einführung in die Philosophie. Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 149.
  4. Gernot Böhme, Einführung in die Philosophie. Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 153.

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